Leider habe ich das Gefühl, dass es nicht besser wird, darum habe ich beschlossen, die Situation zu akzeptieren und heimzufahren, statt mich jetzt noch mehrere Tage in überteuerten Hotelzimmern zu langweilen, denn Ostern steht vor der Tür und alles ist ausgebucht. Schade, vielleicht ist es im Herbst besser.
Kategorie: Camino de Santiago
Dolor
Seit Samstagnachmittag habe ich irgendwie Halsschmerzen, die nicht so recht weggehen wollen. Daher sind für mich ein paar kürzere Tage angesagt. Von Cáceres aus ging es über viel Straße, entlang einer Talsperre und durch die üblichen Weiden. Heute habe ich mich nur so 12 km von Galisteo ins nächste Dorf Carcaboso geschleppt und mich direkt ins Bett gelegt.
Zu den Halsschmerzen hat sich eine zue Nase gesellt und auch die Füße sind in Mitleidenschaft gezogen worden. Erst hatte ich zwei Blasen an den kleinen Zehen, was nicht weiter wild ist, da kommt etwas Tape drüber und weiter geht’s. Aber vermutlich hatte ich am Sonntag meine Nikes nicht fest genug geschnürt und so habe ich jetzt auch an den Fersen welche bekommen – dort lässt sich das nicht so einfach reparieren, weshalb ich die letzten 50 km in meinen Quechua-Wandersandalen gelaufen bin.
Ich hoffe, in den nächsten Tagen reguliert sich das alles wieder und ich kann wieder Gas geben. Über die folgenden Bilder freue ich mich ganz besonders, da ich Wolken und Wasser so gern habe :).
Verano
29% sind geschafft. Das Blatt hat sich gewendet, die letzten drei Tage waren wundervoll, traumhaftes Wetter, der Regen hat sich aus dem Staub gemacht. Zwei größere Städte lagen auf dem Weg, Mérida und Cáceres, es gab viele alte Überbleibsel aus der Römerzeit zu bestaunen.
Nach zwei ziemlich anstrengenden Etappen (37 & 38 km) habe ich mir mal einen Tag Pause verdient. Vorletzte Nacht war auch nicht gerade das gelbe vom Ei, ich glaub vom Komfort her war das das schlechteste Bett, in dem ich je geschlafen habe, mehr Hängematte als Matratze, hallelujah. Tagsüber so gut wie kein Schatten, ist aber im Frühling jetzt noch nicht so schlimm. Die Fauna ist auch toll, Kühe, Schafe, Ziegen, Schweinchen, Hunde und Katzen, lustige Raupen und Grashüpfer, Hühner und Störche, sogar ein Pfau ist mir begegnet. Langsam fühle ich mich angekommen. Bisher würde ich sagen, das ist die härteste Strecke von allen, was natürlich immer sehr subjektiv ist. Die Gegenden hier sind zum Teil so abgelegen, nicht mal Google maps kennt sich hier richtig aus. So muss ich mich manchmal auf der Suche nach einer Bar mit Händen und Füßen kommunizierend bei den Einheimischen erkundigen.
Heute gilt es allerdings zu entspannen, bevor morgen wieder 34 km auf dem Programm stehen. Cáceres hat sogar einen Decathlon, ich habe nämlich im Vorfeld die falschen Socken gekauft, das kann ich heute korrigieren. Zum Abschluss gibt’s dann noch lecker Tapas in der Nähe des Plaza Mayor.
Invierno
Acht Tage Pilgern liegen hinter mir, ca. 200 km, fühlt sich allerdings schon wieder wie eine Ewigkeit an. Auf dem Camino gerät die Zeitwahrnehmung irgendwie außer Kontrolle. Die letzten 5 Tage hat es größtenteils geregnet und kalt war es auch. Ich hatte nicht mal eine Jacke dabei, schwerer Fehler. Als ich Anfang März recherchiert habe, waren es in Sevilla zwischen 10 und 25°, in Santiago etwa 5° weniger. Jetzt ist wohl nachträglich der Winter ausgebrochen und abends sank die gefühlte Temperatur sogar schon bis auf den Gefrierpunkt ?. In Monesterio konnte ich für kleines Geld eine Jacke erwerben, so dass es jetzt nicht mehr ganz so schlimm ist.
Dieses Jahr ist alles anders. Das Wetter, die Abschnitte, die Leute. Die Via laufen weniger als 3% aller Pilger, im März waren es etwa 90, die, von Sevilla aus gestartet, in Santiago verzeichnet wurden, dementsprechend überschaubar ist es, tagsüber sehe ich vielleicht 1-2 Handvoll andere. Die Infrastruktur ist schlecht, die heutige Etappe belief sich auf 27 km ohne irgendetwas Nennenswertes dazwischen, nur endlose Felder von Weinreben und Olivenbäumen. Eigentlich gewöhnt sich mein Körper mit der Zeit an die Strapazen des täglichen Marschierens, aktuell scheint mir eher das Gegenteil der Fall zu sein. Es ist kräftezehrend und ich überlege jeden Tag, es gut sein zu lassen und heimzufahren. Dabei ist das meiner Meinung nach die einzige Regel, die wirklich zählt: Don’t quit. Die Gesellschaft des Amerikaners, mit dem ich seit 5 1/2 Tagen unterwegs bin, macht es wesentlich erträglicher. So kann ich außerdem mein Englisch trainieren, das ist ja in Kiwi Country etwas zu kurz gekommen. Dialoge wie „Remember that shit hole town we stayed in?“ – „Well, that’s not very specific..“ lassen uns das ganze Drama mit Humor nehmen. Außerdem habe ich mich dazu hinreißen lassen, zur Abwechslung – gerade auch nach wochenlangen Hostelaufenthalten in Neuseeland – in Hotels und Pensionen zu schlafen. Bis acht Uhr im warmen Bett liegen ist echt eine Wohltat, denn in den teils wirklich spärlich ausgestatteten Herbergen fehlt oft eine Heizung und um 8 hat man schon wieder draußen zu sein. Morgen geht es nach Mérida, bis dahin, Bocadillo, äh Buen Camino ✌?️.
Plat(t)a
Eins der Dinge, auf die ich mich am meisten in Europa gefreut habe, war… Spanien, drum habe ich auch als erstes einen Flug nach Sevilla rausgesucht und zwar den erstmöglichen Termin im April. Am Dienstag war es dann soweit. Nachdem ich Montagnachmittag wie üblich auf den letzten Drücker meinen Rucksack gepackt habe, konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen.
Irgendwie ist mir ein paar Stunden später eingefallen, dass ich meinen Trinkbeutel vergessen und stattdessen eine Ersatztube Zahnpasta eingepackt habe. Zum Glück war noch Zeit, diesen fatalen Irrtum zu korrigieren. Gegen kurz vor 1 Uhr nachts am Dienstag kam mein Taxi, um mich zum Hammer Bahnhof zu bringen. IC nach Köln, ICE nach Frankfurt Flughafen. Dort kam ich dann eine Minute früher an als geplant. Zu früh. Die Bahn. Versteckte Kamera? Scheinbar nicht, also los geirrt durch den Flughafen. Zum Terminal 2 geht es mit dem Shuttlebus, da die Skyline kaputt ist. Im Zug konnte ich höchstens ein Stündchen schlafen, dementsprechend fertig bin ich langsam. Der Rest ist easy, so früh morgens ist nichts los. Mein Flieger geht um 8:15 Uhr. Wirklich schlafen kann ich nicht mehr, außerdem wäre das auch ungünstig, nachher verpasse ich noch den Gratis-Snack – oh halt, bei Ryanair gibt’s ja gerade mal die Atemluft an Board umsonst. 11:20 gelandet, den Rucksack geholt und dann mit dem Bus in die City zur Kathedrale. Von dort geht es dann zu Fuß weiter.
Diesmal laufe ich die sogenannte Via de la Plata. Von Sevilla bis Santiago. 1.000 km. Keine Ahnung warum. Irgendwie ist mir danach. Vor 1,5 Jahren wusste ich nicht mal, dass es so etwas gibt. Ich habe mal wieder keinen wirklichen Reiseführer dabei, orientiere mich mithilfe des Internets und der anderen Pilger. 3 Etappen sind geschafft. 22, 18 und 28 Kilometer. Ich will alles irgendwie auf mich zukommen lassen und keinen Stress, darum werde ich auch nur noch ab und an schreiben, wenn mir danach ist. Jetzt habe ich Bock, ich liege im Bett, es ist 22:33 Uhr, ich bin satt und erschöpft. Platt. Alles tut weh. Die Füße, die Knie, die Sehnen, die Hüften. Ich werde wohl entgegen diverser Erwartungen auch nicht jünger. Das Wetter ist in Ordnung, morgens und abends ist es frisch, tagsüber wolkenlos sonnig bis 23°. Alles sieht irgendwo ein bisschen vertraut aus, aber ist anderseits auch komplett anders. Z. B. ist Frühling, bisher war ich nur im Herbst unterwegs. Es gibt hier Orangenplantagen und Korkeichen. Und lustig fleckige Kühe.
Ich brauche scheinbar etwas Zeit um anzukommen, meinen Körper an das tägliche stundenlange Gehen zu gewöhnen. Heute ging es die ersten 16 Kilometer nur an der Landstraße entlang, da kommt Freude auf. Viele haben ein Taxi genommen um sich diesen Teil zu sparen, aber ich laufe das, auch wenn es zermürbend ist. Immerhin habe ich schon tolle Gesellschaft gefunden: drei ältere Deutsche, eine jüngere Deutsche, ein rüstiger Belgier, ein Rentner aus Seattle, ein Mutter-Tochter-Duo aus Schottland. Als ich heute gegen 3 im Dörfchen Almadén de la Plata ankomme, will ich mich eigentlich nur noch hinlegen. Aber ein paar Minuten später hat sich das wieder erledigt, also gehe ich in die nächste Bar, Kaffee trinken. Kaffee trinken ist irgendwie nie verkehrt. Einfach etwas sitzen und die Sonne genießen. Um halb 8 kurz im Tante Emma-Laden einkaufen, dann Abendessen mit den anderen. Morgen geht es wahrscheinlich dann ab in die Extremadura, ich bin gespannt.