Acht Tage Pilgern liegen hinter mir, ca. 200 km, fühlt sich allerdings schon wieder wie eine Ewigkeit an. Auf dem Camino gerät die Zeitwahrnehmung irgendwie außer Kontrolle. Die letzten 5 Tage hat es größtenteils geregnet und kalt war es auch. Ich hatte nicht mal eine Jacke dabei, schwerer Fehler. Als ich Anfang März recherchiert habe, waren es in Sevilla zwischen 10 und 25°, in Santiago etwa 5° weniger. Jetzt ist wohl nachträglich der Winter ausgebrochen und abends sank die gefühlte Temperatur sogar schon bis auf den Gefrierpunkt ?. In Monesterio konnte ich für kleines Geld eine Jacke erwerben, so dass es jetzt nicht mehr ganz so schlimm ist.
Dieses Jahr ist alles anders. Das Wetter, die Abschnitte, die Leute. Die Via laufen weniger als 3% aller Pilger, im März waren es etwa 90, die, von Sevilla aus gestartet, in Santiago verzeichnet wurden, dementsprechend überschaubar ist es, tagsüber sehe ich vielleicht 1-2 Handvoll andere. Die Infrastruktur ist schlecht, die heutige Etappe belief sich auf 27 km ohne irgendetwas Nennenswertes dazwischen, nur endlose Felder von Weinreben und Olivenbäumen. Eigentlich gewöhnt sich mein Körper mit der Zeit an die Strapazen des täglichen Marschierens, aktuell scheint mir eher das Gegenteil der Fall zu sein. Es ist kräftezehrend und ich überlege jeden Tag, es gut sein zu lassen und heimzufahren. Dabei ist das meiner Meinung nach die einzige Regel, die wirklich zählt: Don’t quit. Die Gesellschaft des Amerikaners, mit dem ich seit 5 1/2 Tagen unterwegs bin, macht es wesentlich erträglicher. So kann ich außerdem mein Englisch trainieren, das ist ja in Kiwi Country etwas zu kurz gekommen. Dialoge wie „Remember that shit hole town we stayed in?“ – „Well, that’s not very specific..“ lassen uns das ganze Drama mit Humor nehmen. Außerdem habe ich mich dazu hinreißen lassen, zur Abwechslung – gerade auch nach wochenlangen Hostelaufenthalten in Neuseeland – in Hotels und Pensionen zu schlafen. Bis acht Uhr im warmen Bett liegen ist echt eine Wohltat, denn in den teils wirklich spärlich ausgestatteten Herbergen fehlt oft eine Heizung und um 8 hat man schon wieder draußen zu sein. Morgen geht es nach Mérida, bis dahin, Bocadillo, äh Buen Camino ✌?️.